(dpa/lni) Nutria sehen possierlich aus, doch unterhöhlen sie Deiche und Uferböschungen. Die aus Südamerika stammenden Riesennager haben sich in den vergangenen Jahren hierzulande in manchen Regionen enorm ausgebreitet. Viele Freunde haben sie sich dabei nicht gemacht.
Lüneburg (dpa) - «Guckt mal, ein Biber», sagt das kleine Mädchen im Kanu zu seinen Eltern. Doch was da in der Sonne am Ufer der bei Lüneburg dahinfließenden Ilmenau liegt, das ist kein Biber, sondern eine Nutria. Die pelzigen Nagetiere sehen den Dammbauern ganz ähnlich, doch am runden Schwanz kann man sie erkennen. Mit bis zu zehn Kilogramm sind die aus Südamerika stammenden Nutria zudem deutlich kleiner. Eine Flusskurve weiter sonnt sich entspannt das nächste Exemplar. Einige Kilometer weiter fließt die Ilmenau in die Elbe und spätestens dort sind die exzellenten Schwimmer mit ihren unterirdischen Bauten mehr als nur eine possierliche Augenweide.
«So niedlich die Nager auch aussehen, so gefährlich sind sie für den Hochwasserschutz», sagt Katrin Holzmann, Pressesprecherin des Landkreises Lüneburg. «Nutria graben Löcher und Gänge in die Deiche und Uferböschungen an der Elbe und ihren Nebenflüssen», erklärt sie.
«Schlimmstenfalls kann ein unterhöhlter Deich dadurch bei Hochwasser brechen.» So sei die Fallenjagd auch innerhalb der Schutzgebiete an der Elbe notwendig, um die Schäden zu begrenzen. Deshalb habe der Kreis im vergangenen Jahr auch Fallen finanziert.
Wegen der Wühltätigkeit könnten sogar zum Unterhalt der Deiche eingesetzte Fahrzeuge einbrechen, heißt es beim Niedersächsischen Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN).
«Die Bestandsreduzierung durch Abschuss ist daher zu intensivieren», fordert das Landwirtschaftsministerium in Hannover angesichts der landesweit zunehmenden Schäden.
Nutria wurden wegen ihres Pelzes schon vor rund hundert Jahren nach Deutschland geholt, doch so richtig ausgebreitet haben sie sich erst in den vergangenen Jahren. «In neun Jahren hat sich das Vorkommen in den erfassten Gebieten etwa verdoppelt», sagt Torsten Reinwald, Sprecher des Deutschen Jagdverbandes (DJV) in Berlin. «So wurden Nutria 2015 bereits in etwa jedem sechsten Revier nachgewiesen.» Im Jahr 2006 waren laut DJV in 8 Prozent der 24 000 Reviere Nutria unterwegs, 2015 in 16 Prozent.
Hauptursache der Zunahme seien die anhaltend milden Winter, urteilen laut DJV die Experten des Wildtier-Informationssystems der Länder Deutschlands (WILD). Sie haben die Daten von mehr als 24 000 Revieren ausgewertet, etwa 40 Prozent der Fläche Deutschlands. In der DDR wurden die auch Biberratte oder Sumpfbiber genannten Tiere vor allem wegen ihres Pelzes gezüchtet. Doch als nach der Wende die Nachfrage einbrach, wurden sie vielfach freigelassen.
Zu den Verbreitungsschwerpunkten gehören laut DJV neben Rheinland-Pfalz und Niedersachsen auch Nordrhein-Westfalen, der Rhein im Westen Baden-Württembergs, die Elbe im Norden Sachsen-Anhalts, sowie Gebiete Brandenburgs an Havel, Schwarzer Elster und Neiße, sowie der Spreewald.
Im Jagdjahr 2014/15 wurden bundesweit mehr als 19 500 Nutria erlegt, zehnmal so viele wie 15 Jahre zuvor. Ein Großteil wurde in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen geschossen, jeweils rund 8000.
«Jäger sind die kompetenten Ansprechpartner, wenn es um die Reduzierung der Nutria-Bestände mit Falle und Waffe geht», sagt DJV-Präsidiumsmitglied Helmut Dammann-Tamke. Rufe nach einer Einschränkung der Jagd in Naturschutzgebieten oder gar ein Verbot der Jagd mit der Falle seien nicht nur kontraproduktiv für den Artenschutz, sondern «fahrlässig». «Politik, Behörden und Verbände müssen besser und abgestimmt zusammenarbeiten», fordert Dammann-Tamke. «Wir benötigen einen Nutria-Managementplan.»
Solch ein Plan könnte bald schon Wirklichkeit werden, die EU hat die Nutria als sogenannte invasive Art im Visier. Und so sitzen derzeit laut Bundesamt für Naturschutz (BfN) die Experten wie von der EU gefordert bundesländerübergreifend an Managementplänen zur Eindämmung, in einigen Monaten sollen erste Ergebnisse vorgestellt werden. «Als negative Auswirkungen gelten vorrangig die Schädigung der Unterwasser- und Ufervegetation durch Fraßtätigkeit und der damit verbundene Rückgang gefährdeter und geschützter Arten bei hohen Individuenzahlen», heißt es beim BfN. «Wir sehen die ökologischen Schäden ähnlich wie das BfN», sagt Claudia Grünewald, Teamleiterin Artenschutz beim Naturschutzbund (Nabu). «Die Nutria kann Uferröhrichte durch Fraß stark schädigen und damit auch Lebensräume seltener Arten», warnt auch Torsten Reinwald vom DJV.
Nach neuesten Zahlen der Landesjägerschaft Niedersachsen sind Nutria im vergangenen Jahr nun schon in knapp 25 Prozent der Reviere gesichtet worden. Im abgelaufenen Jagdjahr 2015/2016 wurden dort erstmals mehr als 10 000 Exemplare erlegt.
«Die Nutria gehören nicht nach Deutschland», sagt Roland Gramling vom WWF. «Man wird sie wohl nie wieder weg bekommen. Hat sich eine eingeschleppte Tierart erstmal etabliert, ist das kaum zu machen», erklärt er. «Man muss vermeiden, dass man neue Tierarten importiert.
Ist das Kind erst einmal in den Brunnen gefallen, ist es zu spät.»
Weitere Informationen zur Nutria in Niedersachsen finden Sie hier:
http://www.wildtiermanagement.com/wildtiere/haarwild/nutria/