(Bernd Götting - OM-Wochenblatt) Der Tod nähert sich mit dröhnendem Motor und rotierenden Messern. Wenn Landwirte in zwei bis drei Wochen erstmals in diesem Jahr Gras oder Grünroggen mähen, wird es gefährlich für junge Rehkitze. Die Jäger im Hegering Essen blicken dieser Zeit mit Sorge entgegen, denn in ersten Tagen ihres Lebens drücken sich die Kitze instinktiv ins Gras, statt zu flüchten. Was gegen Fuchs und Raubvögel hilft, kann bei der Begegnung mit einem Kreiselmäher zum Tod oder zu schweren Verstümmelungen führen. 100.000 Rehkitze sollen nach Meinung mehrerer Experten bundesweit pro Jahr den Erntemaschinen zum Opferfallen. Eine Zahl, die auch in Essen bekannt ist. Hegeringleiter Gerd Bröring und sein Stellvertreter Jörg Wolter wollten diesem grausigen Geschehen nicht mehr länger zuschauen.
Sie haben in der Vergangenheit schon viele Methoden praktiziert, um das Wild von Grünlandflächen fernzuhalten oder zu vertreiben. Es gab Knistertüten, Flatterbänder oder laute Kofferradios. Auch seien viele Landwirte und Lohnunternehmen sehr kooperativ, weil es gesetzliche Vorschriften gebe und auch ein großes Maß an Einsicht, berichten die zwei Weidmänner übereinstimmend. Mittlerweile sei auch bekannt, dass ein Tierkadaver, der in der Grassilage lande, später beispielsweise bei Milchkühen Botulismus auslösen könne, eine tödliche Fleischvergiftung. Die bisherigen Methoden zur Kitzrettung hätten schon etwasgebracht, seien aber zeit- und personalintensiv. Man könne die Grünflächen auch mit Menschen und Hunden ablaufen, aber das funktioniere eben nicht immer. Die Orte, an denen die Ricken ihre Kitze ablegten, seien mit bloßem Auge kaum zu entdecken. Die Veranlagung zum Ducken und Tarnen sei in den ersten zwei Lebenswochen sehr ausgeprägt, ein Fluchtinstinkt aber noch nicht entwickelt.
Moderne Technologie soll nun dabei helfen, die Tücken der Natur zu überwinden und Kitzen, aber auch Hasen und Bodenbrütern das Leben zu retten. Wärmebildtechnologie, gekoppelt mit einer leistungsfähigen Drohne, könnte zur derzeit effizientesten Methode werden, um Wildtiere zu retten. „Wir haben dafür sehr tief in die Kasse gegriffen und einen hohen viertstelligen Betrag investiert“, berichtet Hegeringleiter Gerd Bröring und ergänzt: „Dabei wurden wir aber auch von der Bingo-Lotterie und der Firma Wernsing aus Addrup vorbildlich unterstützt“. Sein Kollege Jörg Wolters ist begeistert von diesem Vorhaben, denn er arbeitet schon seit Jahren auf Gemeinde und Kreisebene daran, die Jägerschaft als größte Naturschutzorganisation des Landes zu profilieren.
Lange vor dem ersten realen Einsatz wird in Felde bei Essen fleißig geübt. Kamera und Drohne sind hochwertig und komplex ausgestattet und sollten schon allein ihres Wertes wegen nur von Profis bedient werden. „Wir haben uns gut vorbereitet und schon fünf Piloten nach Recht und Gesetz ausgebildet“, betont der Hegeringleiter. So müsse man beispielsweise in einem bestimmten Höhenband bleiben, die Funkreichweiten kennen und natürlich auch die Privatsphäre der Bürger respektieren. Im Flugbetrieb könne die Drohne mit einem Akkusatz zwei Stunden am Stück fliegen, während ein weiterer Akku beispielsweise im Auto aufgeladen werde. Auch Erfahrungen mit der Wärmestrahlung hat man bereits gesammelt und darauf eine Rettungstaktik aufgebaut. Das berichtet Antonius Bruns, der sich in Hard- und Software von Drohne und Kamera eingearbeitet hat. Ein schwarzer Maulwurfshaufen oder ein Stein würden nach längerem Sonnenschein mit Wärme aufgeladen und seien dann von der Kamera nicht mehr von einem warmen Wildkörper zu unterscheiden.
Deshalb werde man morgens mit dem ersten Sonnenlicht schon mit der Suche beginnen und die Ackerschläge mit Drohne systematisch abfliegen. Die Kitze seien dann im kühlen und feuchten Gras leicht auszumachen. Der Pilot könne die Drohne über dem Wildkörper absenken und dank einer Autopilot-Funktion dort schweben lassen. „Die bereitstehenden Helfer sehen dann, wohin sie gehen müssen“, beschreibt Gerd Bröring die weitere Vorgehensweise. Das Kitz werde dann mit Grasbüscheln umfasst, damit es nicht zu einem Kontakt mit dem menschlichen Körper komme. Dann packe man es in einen bereitstehenden Korb und stelle es am Feldrand ab. „Auf keinen Fall darf menschlicher Geruch an den Tieren haften. Dann werden sie wahrscheinlich von den Elterntieren verstoßen und ihre Überlebenschancen sinken rapide“, weiß Jörg Wolters.
Wenn dann zu späterer Stunde Menschen und Maschinen wieder vom Acker verschwunden sind, beginne die Suche der Elterntiere nach den Kitzen. Durch Fieb-Laute würden sich die Tiere finden und das Gebiet verlassen. Für die Essener Jäger wäre es ein Traum, mit der modernen GPS-gestützten Technologie in diesem Jahr Dutzende von Wildtieren zu retten.