Ursula Hellmann
Die Gerdener Jäger 950 Jahre Gerden – wie lange mag hier wohl schon gejagt worden sein? Sicherlich haben sich unsere bäuerlichen Vorfahren damals mit der Wolfsjagd befassen müssen, um ihre Lebensgrundlage, das Vieh, zu schützen. Bevor es die Gewehre gab, kämpfte man direkt Mann gegen Wolf, ausgerüstet mit Messer oder Saufeder. Heute ist der Wolf zwar wieder in Deutschland heimisch, und vor längerer Zeit vielleicht sogar schon einmal durch Gerden gelaufen, aber jagdlich haben wir mit ihm nichts im Sinn – es ist gut, dass wir Jäger nicht dafür verantwortlich sind, wenn in einigen Jahren der Aufenthalt in der Natur einer Mutprobe gleichkommt.
Solange der Wolf noch scheu bleibt, mag er Gerden meiden: schließlich befinden sich in unserem 690 ha großen Revier mit Selhofe und Bullenheide zwei Wohngebiete, zwei vielbefahrene Landstraßen, zwei Kreisverkehre, eine Autobahn, ein Flugplatz, ein Industriegebiet, ein Gewerbegebiet, darin ein Baumarkt und vier beliebte Lebensmittelmärkte. Ganz schön was los! Was will man da noch jagen?
Nun, von den 690 ha sind ca. 513 ha jagdbare Fläche. Unterteilt in 412 ha landwirtschaftliche Fläche, 85 ha Wald und 15 ha Wasser. Das Revier ist von Autobahn und Industrie fast ganz durchgeschnitten in einen Nordteil, „das Bruch“ und einen Südteil mit Ober- und Untergerden, Depenbrock und Vinkemühler Holz. Dieses Niederwildrevier bewirtschaften die Gerdener Jäger seit den 80er Jahren kontinuierlich naturfreundlich und weitestgehend ökologisch. Das heißt, sie haben Restflächen, die für die Landwirtschaft kaum rentabel zu bearbeiten sind, unter ihre Fittiche genommen und dort Wildäsungsflächen und Hegebüsche angelegt. Mittlerweile pflegen sie mehr als 7 ha.
Die Jagdgenossen (das ist die Gemeinschaft aller Landeigentümer in Gerden) verpachten das Revier nur an eigene Jäger. So ist über die Jahre ein starker Zusammenhalt entstanden. Der findet Ausdruck in der jährlichen „Dorfjagd“, der Treibjagd, zu der per se alle Jagdgenossen von den Gerdener Jägern eingeladen sind. Sie findet immer am zweiten Samstag im Dezember statt. Nach der Jagd folgten bis vor kurzem in der Gaststätte Wenke Schüsseltreiben und Jagdgericht. Solange Ilse Wenke es noch vermochte, versorgte sie die Jagdgesellschaft mit ihrem berühmten Grünkohl, den sich dann alle hungrig einverleibten. Meistens war der Jagdabend erst zu Ende, wenn Erich Wenke das Lied vom Chiantiwein mindestens dreimal gesungen hatte.
Gerade erst seit dem 1. April 2018 hat die Jagdgenossenschaft einen neuen Pachtvertrag abgeschlossen. Er läuft über neun Jahre, und als Pächter fungieren gemeinsam Sascha Klamer, Andreas Ellebrecht und Jan-Hendrik Hüpel. Unter den Gerdener Jägern üben sie Ihr Amt als primi inter pares aus, das heißt, jeder bringt sich nach seinen Möglichkeiten ein, Beschlüsse werden im Großen und Ganzen gemeinschaftlich gefasst. Denn gegenseitiger Respekt und Verantwortung in der Sache stehen persönlichen Eitelkeiten voran. Bei diesen Mitjägern handelt es sich um Dr. Gerhard Braun-Munzinger, Manuel Beckmann, Frank Westhoff sowie Lukas, Felix und Ursula Hellmann.
Dass unsere Arbeit im Revier Gerden Früchte trägt, lesen wir Jäger selbst aus dem Vergleich der jährlichen Streckenberichte innerhalb des Hegerings Melle, zu dem wir gehören – genau wie die ebenfalls an die Kernstadt Melle angrenzenden Reviere Melle, Eicken-Bruche, Drantum, Bakum, Bakum-Eigenjagd Laer, Altenmelle, Sondermühlen. Regelmäßig hat Gerden die höchsten Strecken. Obwohl das Revier mit seinen Verkehrs- und Siedlungsflächen strukturmäßig benachteiligt ist!
Warum haben wir kein schlechtes Gewissen, selbst wenn wir verhältnismäßig viel Wild erlegen? Weil wir mit unseren Jagdmethoden längst nicht jedes Stück Wild entdecken und was wir entdecken längst nicht immer beschießen. Das Wild ist nicht dumm und uns keinesfalls auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Vieles entkommt strategisch gewitzt, auch und gerade bei den Treibjagden. Das passiert oftmals und wir sind immer wieder aufs Neue überrascht. Dann lachen wir und freuen uns für das entkommene Stück Wild, dass es weiterleben kann. War es witterungs- und vegetationsbedingt ein gutes Hasenjahr, begegnen wir ihnen häufig; prozentual entgehen uns mehr, trotzdem steigt die Hasenstrecke. Und umgekehrt in schlechten Jahren. So kommt es, dass wir stets in etwa den jährlichen Zuwachs als Jagdstrecke nach Hause tragen.
Was jagen wir und wie? In unserem Niederwildrevier finden sich Hasen, Kaninchen Fasanen, Tauben, Enten, Gänse und Nutria. Sie bejagen wir mit Schrot, gern aus einer Entfernung von 20 – 35 Metern. Hier ist die Wahrscheinlichkeit eines sicheren Treffers am größten. Schüsse mit gängiger Schrotgröße auf höhere Entfernungen haben nicht mehr die Kraft, eine Fuchs- oder Hasendecke sicher zu durchschlagen. Eine Schrotgarbe fällt nach ca. 300 Metern zum Erdboden herunter und hat keine Wirkung mehr. Sie fällt dann herab wie Regentropfen. Auf der Treibjagd schießen wir also entweder auf kurze Entfernung Richtung Boden, wohin der Hase läuft. Oder in die Luft auf Fasan , Ente, Taube, Gans. Und nur, wenn das Schussfeld frei ist. Das heißt: oftmals kann man in Gerden gar nicht schießen, weil das Schussfeld nicht frei ist. Nun ja, dann bleibt die Patrone halt im Lauf. Man muss auch gönnen können!
Rehwild fühlt sich trotz der wachsenden Bebauung in Gerden sehr wohl. Neben der Bejagung fällt das Rehwild auch dem Verkehr auf den Landstraßen zum Opfer. Diese Stücke sind leider nicht für den Verzehr geeignet. Die Gerdener Jäger haben bereits frühzeitig durch die Beschaffung der „blauen Dinger“ an den Leitpfosten zur Reduzierung der Wildunfälle beigetragen. Diese Reflektoren spiegeln das Scheinwerferlicht der Autos blau in die Landschaft. Diese unnatürliche Lichtfarbe schreckt die Rehe ab, sodass Tiere und Verkehrsteilnehmer vor Wildunfällen geschützt werden. Dennoch lassen wir uns nachts gelegentlich aus dem Bett werfen, um das Wild nachzusuchen oder einen Fangschuss anzutragen. Aus Sicherheitsgründen bejagen wir die Rehe meistens vom Ansitz aus. Für den Rehkörper reicht Schrot nämlich nicht aus, wir müssen Kugelmunition verwenden. Von einem erhöhten Punkt aus ist der Kugelfang besser. Deshalb finden wir es auch ausgesprochen dumm von Jagdgegnern, Hochsitze umzuwerfen, zu beschädigen oder anzuzünden. Erlegen könnten wir das Rehwild nämlich auch auf der Pirsch!
Die tiefergelegenen, feuchteren Zonen Gerdens sind das Bruch und die Flächen von der Schwanemühle bis zum Vinkemühler Holz. Hier hält sich eine reichhaltige Vogelwelt, auch seltene Arten. Sie profitiert davon, dass die Gerdener Jäger, allen voran Manuel Beckmann, auch die Raubwild- und Fallenjagd betreiben. Wir Waidmänner wissen um den schlimmen Einfluss, den Fuchs, Waschbär, Marder und Co. auf die Bodenbrüter haben und wollen so wenigstens für Chancengleichheit sorgen. Nach dem Winter ist es für die hungrigen Räuber auch zu verlockend, die brütenden Vögel von ihren Nestern zu vertreiben und sich die Eier einzuverleiben. Immer nur Mäuse und Würmer – wer will das schon aushalten? Den Nestplünderern Krähe und Elster stellen wir per Tarn- und Lockjagd nach. So haben wir erreicht, dass diese Feinde des Singvogelnachwuchses nicht überhandnehmen. Die meisten der schlauen Krähen sind umgezogen und zur Zeit wohl nur noch zu Besuch in Gerden.
Die Böschungen von Else und Violenbach sind unterhöhlt von Gängen, die die Nutria bewohnen. So putzig diese Tiere auch sind, sie schaden dem Hochwasserschutz! Wir sind zuständig und kümmern uns auftragsgemäß darum, den Bestand per Fallenjagd heftig zu reduzieren. Nutria sind aus Südamerika eingeschleppt und fühlen sich hier durch die milden Winter sauwohl. 34 Stück sind im letzten Jagdjahr zur Strecke gekommen!
Was erwartet uns Jäger in der nächsten Etappe, bis Gerden 975 Jahre alt wird? Wir rechnen damit, dass wir es in nicht allzu ferner Zukunft mit Wildschwein und Wolf zu tun bekommen könnten, sofern die Gesetzeslage so bleibt. Ob bestimmt und wann genau? Wer weiß!
Gerdener Jagdstrecke im Jagdjahr 2017/18 Rehwild 23 Hasen 19 Kaninchen 2 Füchse 12 Steinmarder 7 Dachse 1 Waschbären 2 Nutrias 34 Fasan 23 Enten 68 Gänse 2 Krähen 57 Elstern 7