Wenn die Temperaturen steigen, wird auch das heimische Rehwild immer aktiver: Mitte Juli beginnt die Blattzeit beim Rehwild. Im Bann der Gefühle, quert es dann mitunter urplötzlich die Straße oft auch am helllichten Tag. Die Jägerschaft Rotenburg nimmt dies zum Anlass auf die erhöhte Gefahr von Wildunfällen hinzuweisen und bittet alle Verkehrsteilnehmer um erhöhte Rücksichtname.
Normalerweise hält sich Rehwild von Verkehrswegen fern, während der Blattzeit folgt es aber hauptsächlich dem Fortpflanzungstrieb es ist buchstäblich blind vor Liebe und die Gefahr von Wildunfällen steigt enorm. Autofahrer müssen in dieser Zeit auch in Bereichen ohne Warnschild für Wildwechsel und auch an Stellen an denen bisher kein signalfarbenes Dreibein auf einen Gefahrenbereich hinweist, mit plötzlich wechselndem Wild rechnen. Besonders groß ist die Gefahr an unübersichtlichen Straßenabschnitten entlang von Wäldern und Feldern.
Die Rehböcke überqueren jetzt bei der oft kilometerlangen Suche nach einer Partnerin häufiger die Straßen. Und das nicht nur während der Morgen- und Abenddämmerung sondern auch verstärkt tagsüber. Dabei kommt es nun vermehrt zu Wildunfällen, da die dem Rehwild sonst eigene Vorsicht kurzzeitig abhanden kommt und es die Straßen bei diesem liebestollen Treiben tatsächlich fast blind überquert und der Autofahrer meist nur auf die nächtliche Begegnung mit dem Rehwild eingestellt ist.
Im Bereich der Jägerschaft Rotenburg fielen nach eigener Zählung von April bis Dezember letzten Jahres 1046 Rehe dem Straßenverkehr zum Opfer. Damit entfielen über 81% aller Wildunfälle allein auf unser Rehwild, so die traurige Bilanz. Deshalb bittet die Jägerschaft Rotenburg die Autofahrer darum, in den kommenden Wochen besonders aufmerksam zu fahren, Wildwarnschilder zu beachten und Geschwindigkeitsbegrenzungen einzuhalten.
Unter dem Begriff Blattzeit versteht der Jäger genau genommen die zweite Hälfte der Paarungszeit beim Rehwild. Der Begriff Blattzeit leitet sich vom sogenannten Blatten, der Lockjagd auf den Rehbock mittels eines Fieptones ab, die nun in der zweiten Hälfte der Brunftzeit (Paarungszeit) betrieben wird. In früheren Zeiten ahmte der Jäger mit einem Laubblatt (meistens Buche) oder Grashalm den Locklaut einer Ricke nach und lockte so den Rehbock an. Daher der Name Blattzeit. Waidmännisch ausgedrückt, sprang der Bock dann aufs Blatt.
Die Brunftzeit des Rehwildes dauert etwa von Mitte Juli bis Mitte August. In dieser Zeit kümmert sich der Rehbock um die Gunst des weiblichen Rehwildes in seinem Territorium. Meist werden zuerst die körperlich stärksten Schmalrehe brunftig und zeigen die entsprechenden Merkmale. Ricken, die gesetzt haben, werden erst später brunftig. Wissenschaftlich gesehen hat das mit dem Setztermin der Ricken zu tun: der Follikelsprung findet ziemlich genau 65 bis 69 Tage nach dem Geburtstag der Kitze statt. Deshalb scheint der Beginn der Brunft nicht so sehr vom aktuellen Wetter abzuhängen als vielmehr vom Setztermin.
Der Setztermin kann aber durch einen langen Winter oder ein früh einsetzendes Frühjahr beeinflußt werden. Auch ein weiterer Faktor soll sich auf den Brunft-Beginn auswirken: die Tageslänge. Sie soll bei ziemlich genau 15 Stunden und 45 Minuten liegen, genetisch fixiert sein und für eine Art Brunftsynchronisation sorgen. Auch Höhen und geographische Lage beeinflußen die Brunft: Während im Flachland die Hauptbrunft zwischen dem 20. Juli und dem 15. August abläuft, verschiebt sie sich bei zunehmender Höhenlage und weiter gen Osten nach hinten. So brunften etwa Rehe im Ural erst Mitte August bis Mitte September.
Eine Ricke ist drei bis vier Tage brunftig. Offenbar scheinen Böcke schon eine geraume Zeit vor der Brunft zu wissen, an welche Stücke sie sich zu halten haben; denn besonders häufig vergesellschaften sie sich schon relativ früh mit Schmalrehen, die ja meist als erste brunftig werden.
Böcke, die nicht unmittelbar mit Ricken zusammenstehen oder die nicht von weiblichen Stücken aufgesucht werden, verfolgen ähnlich wie ein Schweißhund mit tiefer Nase die Fährte einer brunftigen Ricke. Und dabei wird, je nach Bestand und Revierstruktur, das ursprüngliche Territorium deutlich erweitert. Berühren Böcke dabei die Reviere anderer Böcke, so kann es bei gleicher Stärke unter Umständen zu heftigen Auseinandersetzungen kommen.
Bei Annäherung des Bockes flüchtet in der Regel das weibliche Stück, so daß es zu einer Hetzjagd kommt, dem sogenannten Treiben. Dieses Treiben kann unter Umständen über mehrere Kilometer gehen, und es wird oft von dem recht lauten Keuchen des Bockes begleitet. Bei einem Halt bewindet der Bock meist ausgiebig den Schürzenbereich der Ricke (prüft ihre Bereitschaft), worauf oft das Treiben, jetzt in immer enger werdenden Kreisen, fortgesetzt wird. Die Spuren dieses kreisförmigen Treibens in der Bodenvegetation sind die bekannten Hexenringe. Irgendwann flüchtet die Ricke nicht mehr, und es kommt zum Beschlag (Deckakt).
Weibliche Stücke, die Kitze führen, schlagen diese zwar während des unmittelbaren Brunft-Betriebes manchmal ab (vertreiben sie), verlieren aber auch während heftigen Treibens in der Regel nie ganz den Kontakt zu diesen. Nachdem die Ricke beschlagen ist und ihre Brunft abklingt, wendet sie sich aber wieder intensiver den Kitzen zu, während der Bock nach weiteren brunftigen Stücken sucht.
Auch Jährlingsböcke können mitunter am Brunftgeschehen teilnehmen und sind durchaus in der Lage, Ricken erfolgreich zu beschlagen - obwohl sie dabei unheimlich an körperlicher Kraft verlieren. Aber auch bei den älteren territorialen Böcken kann es bei ungünstigem Geschlechterverhältnis zu außerordentlichen körperlichen Beanspruchungen kommen, die unter Umständen in der kurzen Zeit im Herbst nicht wieder aufgeholt werden können. Von diesen Böcken dürfen im Folgejahr keine Wunderdinge in Sachen Wildbret und Gehörn erwartet werden.
Nach der Blattzeit werden die Böcke zunächst heimlich, wie der Jäger sagt. Der Bock ist in Wochen der Blattzeit so sehr mit der Paarung und der Verteidigung seines Reviers beschäftigt, daß er nur wenig Nahrung aufnimmt. So wundert es nicht, daß er am Ende der Blattzeit auch am Ende seiner physischen Reserven ist und die nächsten Wochen zur Erholung nutzt. Nach der Blattzeit scheinen die Böcke wie vom Erdboden verschluckt und erst Ende September, Anfang Oktober bekommt man sie wieder öfter zu Gesicht.
Nun ist die Gefahr, die vom Rehwild in der Blattzeit ausgeht, für die Verkehrsteilnehmer zunächst vorüber. Aber bereits Anfang Oktober beginnt unser Damwild mit seinem Brunftgeschehen. Dann ist erneut besondere Vorsicht geboten.