Herr Wippermann zählt sich zwar zur kritischen nichtjagenden Bevölkerung, bedient sich aber dennoch gern der Zunftsprache der Jägerschaft. Er wittert eine falsche Fährte, wenn der Obmann für Öffentlichkeitsarbeit dieser Jägerschaft über seine Motivation zu Jagen berichtet. Die seit Jahrhunderten gesprochene Zunftsprache der Jäger hat unwillkürlich auch Eingang in seine Umgangssprache gefunden.
Mit dem Zitieren meiner Sprache (Worte) nimmt er es hingegen nicht so genau. Aus: Das Strecken (Schießen) eines Stück Wildes hat so wenig mit Lust zu tun, wie das Pflücken eines reifen Apfels wird plötzlich: Wenn der Jäger die eigentliche Jagd, sprich das Erlegen, so belanglos und emotionslos empfindet wie das Pflücken eines Apfels . Es fügte sich wohl besser ins Konzept! Ich hatte den Satz ganz bewusst gewählt um zu klarzustellen, dass die Schussabgabe, also der Akt des Tötens, nichts mit Lust zu tun hat. Zum guten Jäger gehört eine Unruhe des Gewissens angesichts des Todes, den er dem vorher genau beobachteten und damit sauber angesprochenem (ausgewähltem) Tier bringt. Er zeigt durchaus Emotionen. Zitternde Hände, die eine Schussabgebe verbieten oder butterweiche Knie vor oder nach Schussabgabe sind da keine Seltenheit. Aus diesem Emotionen heraus und der Ehrfurcht vor dem Geschöpf resultieren die Bräuche der Totenwache am erlegten Wild, der letzte Bissen zur Versöhnung mit dem erlegtem Wild und das Verblasen der Strecke mit den Totsignalen. Bräuche die auch in unserer schnelllebigen Zeit zur Ehre des erlegten Geschöpfes noch Anwendung finden.
Aber es ist nicht nur die Sprache. Die Tatsache, dass wir Menschen die längste Zeit unseres Erden-Daseins Jäger und Sammler waren hat viel davon in uns bewahrt. Der Jäger steckt noch immer in uns modernen Menschen. Die Anthropologie kennt viele Beispiele dafür. So sehen wir Menschen die Welt z.B. noch immer durch die uralte Brille" des Jägers. Wir sind in der Lage trotz einer Flut an Informationen aus unserer Umwelt, uns um bestimmte Sinneseindrücke mehr zu kümmern als um andere, etwa um sie intensiver weiterzuverarbeiten, und um uns besser an sie zu erinnern. Für unsere Vorfahren war das vor abertausenden von Jahren überlebenswichtig, um nicht von einem Raubtier, das im äußersten linken Gesichtswinkel auftaucht, gefressen zu werden. Oder, um einem halbrechts fliehenden Hirsch einen Pfeil hinterher zu jagen. Oder um die Absichten eines herannahenden Zweibeiners zu ergründen: Bedrohung oder Beute, Freund oder Feind.
Ich finde die Jagd spezifisch menschlich. Herr Wippermann findet das erstaunlich, da er unter spezifisch menschlich Ethik, Vernunft und Moral versteht. Verstößt die Jagd gegen Ethik, Vernunft und Moral? Ich glaube nicht, denn was ist Ethik, was Vernunft und Moral?
Moral ist das, was der Einzelne oder eine Gruppe für richtig halten. Meine Moral gibt mir die Antwort auf die Frage: Was soll ich tun, wie soll ich leben? Es gibt also heute viele, ganz unterschiedliche, oft miteinander konkurrierende Moralen. Jagd ist für eine große Gruppe in unserer Bevölkerung ebenso mit der Moral vereinbar wie für mich. Allein in Europa gibt es derzeit über 7 Millionen Jäger die die Jagd mit ihrer Moral vereinbaren können.
Ethik ist der Zweig der Philosophie, der sich mit den verschiedenen Moralen wissenschaftlich beschäftigt. Ethik untersucht, auf welcher Grundlage eine bestimmte Moral aufbaut, ob sie in sich widerspruchsfrei ist und welche Konsequenzen aus ihr folgen. Wer z.B. das Töten von Tieren zum Zwecke der Nahrungsmittelgewinnung aus Ehrfurcht vor dem Leben ablehnt, muss sich fragen lassen, wo er den moralischen Unterschied zwischen Tieren und Pflanzen sieht, und er braucht schon eine sehr gute Begründung, will er z.B. Lederschuhe tragen. Ebenso geht es dem, der die Jagd zwar aus Ehrfurcht vor dem Geschöpfe ablehnt, bei der Fahrt durch die laue Sommernacht auf seiner Windschutzscheibe aber einen Insektenfriedhof hinterlässt.
Ethik und Moral vereinigen sich bei uns Jägern in dem Begriff Waidgerechtigkeit. Mit Waidgerechtigkeit war ursprünglich eine fachgerecht ausgeübte Jagd gemeint. In diesem Sinne Waidgerecht handelt ein Jäger, der sein Handwerk versteht. Seit Ende des 19. Jahrhunderts hat sich der Begriff durch Hinzutreten des Gedankens der Hege sowie des verantwortungsvollen Schutzes des Wildes gewandelt. Heute bezieht sich der Begriff der Waidgerechtigkeit auf drei Aspekte: Der Tierschutzaspekt betrifft die Einstellung des Jägers zum Tier als Mitgeschöpf, dem vermeidbare Schmerzen zu ersparen sind. Der Umweltaspekt fordert vom Jäger die Einbeziehung der Umwelt in ihrer Gesamtheit in sein Denken und Handeln. Der mitmenschliche Aspekt betrifft das anständige Verhalten gegenüber anderen Jägern sowie der nicht die Jagd ausübenden Bevölkerung. Die von Herrn Wippermann aufgeführten Beispiele: Fasane aus der Transportkiste heraus schießen, erst den Fuchs und dann den letzten Hasen schießen sowie das Schießen mit Pfeil und Bogen auf Wild, stellen samt und sonders Verstöße gegen die Waidgerechtigkeit und darüber hinaus sogar gegen die Jagdgesetze dar und werden von keinem waidgerechten Jäger praktiziert.
Die Jagd dient auch nicht nur dem Ausleben eines "Jagdtriebs nach Büroschluss, wie Herr Wippermann meint, sondern stellt eine öffentliche Aufgabe dar. Die Jagd dient heute der Erhaltung einer ausgewogenen Vielfalt in der Tier- und Pflanzenwelt. Sie erfüllt nach dem Prinzip der Nachhaltigkeit einen gesetzlichen Auftrag als Bestandteil land- und forstwirtschaftlicher Bodennutzung. Bejagd werden heute nur Wildarten, deren Bestandsgröße eine nachhaltige Nutzung erlaubt oder deren Bejagung aus Natur- und Artenschutzgründen (z.B. Prädatoren, Neozoen, etc.) erforderlich ist. Jäger übernehmen Mitverantwortung auch für nicht jagdbare Tierarten und deren Lebensräume. Jäger erfüllen eine Vielzahl von Aufgaben und Pflichten, die, gäbe es sie nicht, die öffentliche Hand übernehmen müsste. Vielen ist das nicht bewusst. Während sich der Naturschutz weitestgehend aus öffentlichen Mitteln finanzieren lässt, haben die Jäger nie nach Geld gefragt, wenn sie des nachts Unfallwild von der Straße entsorgen, Unfallbescheinigungen für die Autoversicherungen erstellen, Impfköder gegen Schweinepest oder Tollwut ausbrachten, Blutproben für das Schweinepest-Monitoring entnehmen oder Kontrollfüchse für die Tollwutüberwachung einsammeln, Feuchtbiotope anlegen, Streuobstwiesen und Hecken pflanzen, mit Kindern in den Wald gehen, um ihnen die Natur nahezubringen, im Frühjahr Jungwild mit viel Aufwand vor dem Mähtod retten und nicht zuletzt hunderte von Stunden im Revier verbringen, um Wildbestände zu beobachten, zu reduzieren, auf Wildkrankheiten zu achten oder auch Wildschäden zu verhindern.
Das Ziel der Jagd ist aber auch das Beutemachen. Dabei steht jedoch nicht das Töten im Vordergrund, obwohl es untrennbar mit dem Beutemachen verbunden ist. Der Tod des Tieres ist für den Jäger durchaus mit Emotionen verbunden. Wenn z.B. ein Stück Wild zwar tödlich getroffen, in der emotionalen Aufgeregtheit jedoch der Anschuss nicht sofort wiedergefunden wird, erlebt der Jäger dies häufig sogar als moralische Niederlage. Leben und Tod gehören nun einmal zusammen, denn sie sind Teil der Schöpfung. Das Töten von Tieren geschieht täglich millionenfach im Namen des Verbrauchers für den Supermarkt. Im Unterschied zur Jagd, ist es jedoch den Blicken der Öffentlichkeit inzwischen gänzlich entzogen. Die Jagd widersetzt sich damit der allgemeinen kulturellen Tendenz der Verdrängung des Todes und der Tötung.
Ich habe wie bereits im Ursprungsartikel geäußert - Freude an der Jagd, denn sie bereichert mein Leben. Das Jagen ist mit meiner Moral vereinbar. Für mich ist das jagdliche Erlebnis wie ein festes Band zur Natur mit all seinen praktischen, ökologischen und gesellschaftlichen Problemen, bis hin zum Tod des Wildes. Die Jagd ist für mich auch nicht aus der Zeit gefallen. Wenn ich das selbst erlegte, zerwirkte und im Backofen zubereitete Stück Wildbret auf den Tisch bringe, kommt bei mir das zusammen, was eigentlich zusammen gehört, in unserer modernen Zivilisation aber längst getrennt wurde: der Tod und das Leben.