Der Fischotter unterliegt in Niedersachsen seit jeher dem Jagdrecht, ist allerdings seit dem Jahre 1966 ganzjährig geschont. Es dürfte unter uns Jägern also nur noch wenige Zeitzeugen geben, die die Jagd auf den Fischotter aktiv miterlebt haben. Vor etwa 130 Jahren war der damals auch „Fischmarder“, „Flussmarder“ oder „Flussotter genannte Marder, der den wissenschaftlichen Namen Lutra Lutra trägt, überall dort in Niedersachsen und damit auch im Landkreis Rotenburg (Wümme) verbreitet, wo es Wasserflächen und Feuchtgebiete gab.
Noch im Jahre 1882 kam die Königliche Landwirtschaftsgesellschaft zu Celle zu dem Schluss, dass die Fischerei in der ländlichen Wirtschaft bisher unterschätzt worden sei. Eine „wirksame Hebung des Fischbestandes“ wurde erst dann erwartet, wenn „diese gefährlichen Fischfeinde vertilgt oder doch wesentlich abgemindert sind“. Es erfolgte die Auslobung einer Otter-Prämie (Hannoversche land– und forstwirtschaftliche Zeitung 1882: 8ff). Als Folge der Prämienauslobung wurden in den Jahren 1882—1913 über 8.000 Otter in der Provinz Hannover erlegt. Auf das damalige Amt Rotenburg entfielen in den Jahren 1883-89 etwa 58 erlegte Fischotter (REUTHER 1980: 51). Als die Otter-Prämie im Jahre 1913 wieder abgeschafft wurde, galt der Fischotter im Amt Rotenburg bereits als ausgerottet.
Das endgültige Aus für den Fischotter in Niedersachsen kam jedoch aufgrund der massiven Veränderungen in der, und durch die massiven Eingriffe in die Kulturlandschaft. Der Gewässerausbau durch Begradigung und Beseitigung von Ufergehölzen im Rahmen einer intensiven Gewässerunterhaltung, die Trockenlegung von Mooren und Feuchtgebieten sowie der Verlust vernetzter, ökologisch intakter Gewässersysteme verbunden mit einer geradezu rücksichts-losen Verschmutzung der Gewässer, führten zu einem großflächig einsetzenden Rückgang des Fischotters in seinen angestammten Lebensräumen in ganz Niedersachsen. Erst als er landesweit kurz vor dem Aussterben stand, betrat mit der Gründung der „Aktion Fischotterschutz e.V.“ im Jahre 1979 ein Naturschutzverband die Bühne, der sich seither mit zahlreichen Forschungsprojekten der Erhaltung und Wiederverbreitung des Fischotters widmet. Im Jahre 1988 eröffnete er Europas erstes Otter-Zentrum in Hankensbüttel.
Die Erkenntnis, dass die erforderliche ökologische Verbesserung der Fließgewässern einen erheblichen finanziellen Aufwand erfordert, führte schließlich im Herbst 1989 zur Inkraftsetzung des Niedersächsischen Fischotterprogramms. Im Jahre 1992 folgte schließlich das Niedersächsische Fließgewässerprogramm. Beide Programme ermöglichten es dem Landkreis Rotenburg, entlang der Wümme große zusammenhängende Flächen mit dem Ziel aufzukaufen, das Gebiet wieder einer natürlichen vom Menschen unbeeinflussten Entwicklung zu überlassen. Zusätzlich konnten Renaturierungsmaßnahmen durchgeführt und eine Verbesserung der Wasserqualität erzielt werden. Die erzielten Lebensraumverbesserungen ermöglichten bereits die Wiederansiedelung von Lachs und Meerforelle im oberen Wümmegebiet, sowie die Aussetzung des Stör an der Oste . Profitiert von dieser Entwicklung hat letztlich auch der Fischotter, denn seit einigen Jahren schickt er sich scheinbar wieder verstärkt an, seine früher angestammte Heimat zurückzuerobern.
Die einstig weiträumige Landschaft mit natürlich verlaufenden Flüssen, Feuchtwiesen, Auwäldern und Seen ist inzwischen jedoch stark zerschnitten. Ein dichtes Verkehrswegenetz aus Bahntrassen, Bundes-, Landes– und Kreisstraßen durchschneidet inzwischen die Kulturlandschaft im Kreis Rotenburg (Wümme). Dabei werden viele Gewässer überbrückt. Tragischerweise scheut der Fischotter gerade diese Brücken, kann er sie nicht trockenen Fußes auf einem Uferstreifen unterqueren. Er schwimmt nicht unter ihnen hindurch, sondern klettert an Land, überquert die Straße und geht auf der anderen Seite wieder ins Wasser zurück. Bei diesen Straßenquerungen wird er häufig überfahren.
Aktuelle Otternachweise, die mit Hilfe von Kotmarkierungen, Trittsiegeln und Sichtbeobachtungen geführt wurden, vor allem aber die zwölf Todfunde der vergangenen drei Jahre, lassen den Schluss zu, dass sich im Landkreis gerade eine stabile Population etabliert. Sie zeigen aber auch, dass diese Population eine besondere Gefährdung durch den Straßenverkehr erfährt. In Sachen Fischotterschutz besteht demnach zwingender Handlungsbedarf, soll der im Jagdrecht verankerten Hegeverpflichtung Rechnung getragen werden. Es galt und gilt also verkehrsreiche Brücken im Einzugsbereich der Wümme, die der Otter nicht „trockenen Fußes“ unterqueren kann, mit „Laufbrettern“ oder „Bermen“ (künstlichen Uferstreifen), zu versehen. Diese Maßnahmen erfordern jedoch einen nicht unerheblichen Mitteleinsatz.
Der Landkreis Rotenburg (Wümme) und die drei Jägerschaften Bremervörde, Rotenburg und Zeven hatten sich daher im Jahre 2011 entschlossen, gemeinsamen in Sachen Fischotterschutz zu handeln. In einer ersten Phase sollten im Jahre 2012 drei Brücken mit Bermen versehen werden. Die Realisierung sollte aus Mitteln der Jagdabgabe, mit Hilfe finanzieller Unterstützung des Landkreises, sowie durch Eigenmittel der Jägerschaften erfolgen. Ein entsprechender Förderantrag an das Landwirtschaftsministerium in Hannover, wurde von dort im März 2012 positiv entschieden.
Die Auswahl der ersten Brücken erfolgte mit Unterstützung des Otterszentrum Hankensbüttel, sowie der Arbeitsgemeinschaft der Angelvereine Lauenbrück, Fintel und Westervesede. Absicht war es zunächst, die Wümmebrücken entlang der B 75, die eine der Hauptverkehrsadern im Südkreis darstellt und von der ein entsprechendes Gefährdungspotenzial für den Fischotter ausgeht, ottersicher zu gestalten. Ursprungsidee war das Anlegen eines beidseitigen Uferstreifens (Berme) für den Fischotter, sowie als Synergieeffekt für die Fischwelt, der gleichzeitige Einbau eines Kiesbettes als Laichmöglichkeit.
Die Wahl fiel auf die Wümmebrücke an der B 75 im Wümmetal zwischen Scheeßel und Lauenbrück, die Wümmebrücke an der L 130 am Ortausgang von Scheeßel (Helvesieker-Brücke), und auf die Veersebrücke an der B 75 bei Veersebrück. Für diese drei Brücken stellte das Landwirtschaftsministerium in Hannover Fördergelder in Höhe von 90% der kalkulierten Gesamtkosten zur Verfügung. Die Differenz sollte mit finanzieller Unterstützung des Landkreises bestritten werden.
Waren Projektbeschreibung und Beantragung der Fördermittel eher noch als Routine zu bezeichnen, betrat die Initiative mit Planung und praktischer Umsetzung nun neue Wege. Ein derartiges Projekt, wie die Anlage von Bermen zum Fischotterschutz, war im Landkreis bisher nicht realisiert worden und auch für die beteiligten Behörden und Verbände quasi Neuland. Die Absichten der Initiative mussten nun mit den Behörden, dem Träger der Brücken, den Unterhaltungsverbänden und den betroffenen Grundstückseigentümern abgestimmt, bzw. deren Zustimmung eingeholt werden.
Hier nun zeigte sich schon bald, dass an der Ursprungsidee, der Anlage von beidseitigen Bermen, sowie dem gleichzeitigen Einbau von Kiesbetten als Synergieeffekt, nicht festgehalten werden konnte, sollte dem Projekt nicht schon in der Anfangsphase die Zustimmung versagt bleiben. Die Anlage einer zweiten Berme im Strömungsbereich des Brückenpfeilers wurde von den Landesbehörden nicht unterstützt. Gründe, die gegen eine beidseitige Ausführung sprachen, waren mögliche Probleme mit der Stabilisierung, zu erwartende Unterhaltungskosten (Ausspülungen etc.) nach einer Hochwasserlage, eine zu starke Einengung des Querschnittes, eine Verlagerung des Flusslaufes Richtung Brückenmitte, ein erforderlicher Eingriff in den Gewässerverlauf, ein erforderliches Plangenehmigungsverfahren sowie letztlich auch erwarteter Aufwand und Kosten. Als einvernehmliche Lösung sollte dem Otter nun eine einseitige Berme als Querungshilfe angeboten werden, die durch eine rechtlich-planerischen Sicherung Bestandteil des Brückenkörpers wird.
Die Anlage von Kiesbetten im Sohlbereich wurde vom Brückenträger ebenfalls nicht unterstützt und auch vom ausführenden Ingenieursbüro wurde davon abgeraten. Von beiden wurde auf das in der Wümme bestehende Problem mit der Sandfracht hingewiesen, dass eine erhöhte Aufbringung des Kiesbettes erforderlich gemacht hätte, damit eine erhöhte Strömungsgeschwindigkeit ein alsbaldiges Versanden verhindert. Als Folge wäre es zu einer deutlichen Querschnittsveränderung und zu einem unerwünschten Rückstau der Wümme im Bereich des Brückenkörpers gekommen.
Ein Ingenieursbüro für ökologischen Wasserbau war mit der Planung und Überwachung der Baumaßnahmen befasst. Nach Vorlage der Bauzeichnungen und hydraulischen Berechnungen begannen Ausschreibung, Auswahl des Ausführenden Unternehmens und die Auftragsvergabe. Am 29. Oktober 2012 konnte schließlich mit dem Bau der ersten Berme unter der Wümmetalbrücke begonnen werden. Erfreulicherweise gingen die Aufträge nach der Ausschreibung an einem heimischen Bauunternehmer. Die Bermen wurden unter allen drei Brücken nach gleichen Schema erstellt. Wo vorhanden, wurde auf Sedimentablagerungen aufgebaut. Die Bermen wurden auf der Seite zum Gewässer mit einer Steinreihe gesichert. So wurden bei der Wümmetalbrücke 5 to Steine mit einem Durchmesser zwischen 35 bis 50 cm verbaut. Zwischen Steinreihe und Kies wurde ein Vlies eingefügt. Danach wurden 15 to Kies-Sand-Gemisch in einer Körnung von 2 bis 63 mm verbaut. Zum Schluss wurde eine 10 cm starke Abdeckung aus Kies und Lesesteinen mit 32 bis 70 mm Korndurchmesser auf die Berme aufgebracht. Die Bermenkrone erhielt eine Breite von 50 cm und wurde bis auf 90 cm unter die Konstruktionsunterkante der Brücke aufgeführt. Die Höhe der Bermenkrone soll dem Otter möglichst eine ganzjährige Querung ermöglichen.
Die Umsetzung erwies sich, aufgrund der schwierigen Erreichbarkeit und dem sehr niedrigen Arbeitsraum unter der Brücke, der nur bedingt einen Maschineneinsatz zuließ, als sehr Aufwendig. Nur Mithilfe eines Kleinstbaggers war der Transport der Sicherungssteine unter der Brücke möglich. Der geringe Wasserstand zum Zeitpunkt der Bauarbeiten erwies sich hingegen als hilfreich für die Arbeiten. Die Symbolische Übergabe dieser ersten Berme erfolgte bereits am 1. November 2012. Die Bauarbeiten an der Veersebrücke konnten am 2. November, die an der Helvesieker-Brücke, am 7. November 2012 abgeschlossen werden. Der zwischen Planungsbeginn Ende 2011 und Bauausführung im November 2012 erfolgte Anstieg der Materialkosten im Bereich Sand und Kies, der sich durch vermehrte Unterhaltungsmaßnahmen an einigen Flüssen und den Bau der Autobahn A1 erklärt, verteuerte die Bauausführung letztlich um ca. 18 Prozent. Die entstandenen Mehrkosten wurden vom Landkreis übernommen. Auf Grundlage dieser ersten eigenen Erfahrungen hinsichtlich Projektmangement, Ausführung, Kosten und Effizienz des Mitteleinsatzes soll das Projekt weiter ausgebaut werden.
Im Rahmen des Monitoring wurden unter allen drei Brücken Wildkameras installiert, um die Annahme der Bermen durch den Otter zu dokumentieren, bzw. Informationen über sonstige Nutzer zu sammeln. Brücken ohne Uferstreifen gelten allgemein als ökologische Barriere. Die Auswertung der Bilder ergab daher auch, dass die Bermen nicht nur vom Fischotter, sondern auch vom Raubwild, Raubzeug, Rehwild Feldhase, etc., angenommen wird.
Noch während der Bauphase hatte sich im Landkreis ein neuer Unfallschwerpunkt im Bereich der Jägerschaft Zeven, im Raum Weertzen/ Hanrade, herauskristallisiert. Dieser wird nun in einer zweiten Phase 2013, durch eine weitere Baumaßnahme, die überwiegend vom Landkreis Rotenburg (Wümme) finanziert wird, im zweiten Halbjahr 2013 entschärft. An der Unfallstelle an der dortigen L 142, sind bereits drei Tote Fischotter zu beklagen. Der Fischotter quert bei seiner nächtlichen Wanderung, von der Oste kommend an der Unfallstelle die Straße, um zu den jenseits gelegenen Fischteichen zu gelangen. Momentan laufen die Planungen für eine sog. Trockenröhre, die unter der Straße in einem Bohr- und Pressverfahrenen hindurchgeführt werden soll, um dem Otter so die ungefährdete Wanderung zwischen Oste und Fischteichen zu ermöglichen. Sowohl Eigentümer als auch derzeitige Nutzer der Teichanlagen tragen diese Artenschutzmaßnahme erfreulicherweise mit.
In einer dritten Phase ist im Jahre 2014 eine Ausdehnung der Schutzmaßnahmen auf den gesamten Landkreis geplant. Auf Grundlage einer im Jahre 2007 im Rahmen des Projekts „Das Blaue Metropolnetz“ von der Aktion Fischotterschutz e.V durchgeführten Studie, die darauf abzielt, länderübergreifende Wanderkorridore für den Fischotter zwischen Niedersachsen, Hamburg und Schleswig-Holstein zu schaffen, wurde im Bereich jeder der drei Jägerschaften eine Brücke mit prioritärem Handlungsbedarf ausgewählt. Im Rahmen dieser Studie wurde bereits prioritärer Handlungsbedarf bei 28 Brückenbauwerken im Kreisgebiet festgestellt, sowie Maßnahmenempfehlungen ausgesprochen. Vorausgesetzt, es gelingt auch für die folgenden Phasen ausreichend Fördermittel zu generieren, werden die drei Jägerschaften ihre Bemühungen, die Brücken im Landkreis Rotenburg (Wümme) ottersicher zu gestalten, auch die nächsten Jahre fortsetzen.